Die Paul- Guenther - Schule in Geithain feiert
nächstes Jahr Ihr 80 jähriges Bestehen. Zu Kindheit und Jugend des
Schulstifters informiert ein kurzer Auszug aus "Geithain Journal,
Beiträge zur Schul- und Stadtgeschichte" von Dr. Gottfried Senf
(senfg@aol.com):
Paul Guenther - Kindheit und Jugend
Besucher der Geithainer Stadtbibliothek haben
es sicher schon festgestellt: Der Blick aus den Fenstern des oberen
Stockwerkes hinunter auf die Grünanlagen zwischen Leipziger und
Nicolaistraße, mit Kirche und Stadttor im Hintergrund, ist faszinierend.
Und das nicht nur im Mai, wenn die Magnolienbäume blühen oder am
Vormittag, wenn die Morgensonne die Geithainer Unterstadt in ihr
Licht taucht.
"Geithain- das sächsische Rothenburg o.d.
Tauber" -so wurde in den dreißiger Jahren auf einer Ansichtskarte
für unsere Stadt geworben! Und der ehemalige Geithainer Lehrer Kurt
Klein nennt Geithain "eine Perle unter den sächsischen Kleinstädten."
Der Winkel unten am Stadttor, mit Kantorgasse, Kirchtürmen und Kirchhof
hat seine Romantik bewahrt!
Hier "an der Heißte", im Haus Leipziger Straße
23, wurde Paul Guenther am frühen Morgen des 13. Mai 1860 geboren.
Bruno Guenther und die junge Mutter Therese waren typische Vertreter
der Ackerbürgerstadt Geithain. Der Handwerker hatte meist noch ein
kleines Stück Land in Bewirtschaftung. Vielleicht deshalb wird in
amerikanischen Quellen oft Landwirt als Beruf des Vaters von Paul
Guenther angegeben. Weber ist sicher treffender. Und diese Zunft
war ja in Geithain seit vielen Jahrhunderten weit verbreitet. In
diesem Beruf und in der "Textilgegend" um Limbach/Chemnitz liegen
auch die Wurzeln für den späteren Werdegang unseres neuen Erdenbürgers
Johannes Paul Guenther.
Kindheit im damaligen Geithain!
Die Straße vor der Tür, ein paar Schritte stadteinwärts
die "Entenpfütze" und hinterm Stadttor der Hospitalteich - was für
ein Spielparadies! Das Verfüllen der Entenpfütze, die Einweihung
des Kriegerdenkmals und das Entstehen der Anlagen in der Unterstadt
erlebt der Zehn/Zwölfjährige. Es spielt sich ja alles vor seiner
Haustür ab. Aber noch eine andere, viel aufregendere Sache passiert!
Die neue Eisenbahnstrecke von Leipzig über Borna nach Chemnitz berührt
Geithain. Draußen auf dem "Pflanzberge" entsteht der Bahnhof. Eine
ganz neue Straße führt von dort in die Stadt. Der Sumpf dazwischen
wird mit einem hohen Damm aufgefüllt. Ein völlig neuer Stadtteil
entsteht im Norden. Später nennt man diese Zeit in Deutschland "die
Gründerjahre." Der aufgeweckte Knabe Paul Guenther hat mit seinen
Schul- und Spielkameraden das alles mehr oder weniger bewußt aufgenommen.
Zusammen mit seinen Schulkameraden stand er am Spätnachmittag des
12. Juli 1870 auf dem Geithainer Marktplatz, als König Johann von
Sachsen in Geithain eintraf. Natürlich gehörte auch sein Vater als
Mitglied des Geithainer Schützenvereines zu den Versammelten auf
dem Markt.
Bild : Der Knabe Paul Guenther neben Vater Bruno, um 1872
Als die neue Schule (das spätere
Landratsamt in der Bahnhofstraße) 1877 eingeweiht wurde, war Paul
Guenther schon ein junger Bursche von 17 Jahren! Er ahnte nicht,
daß ihn 46 Jahre später ein Brief aus seiner alten Heimat erreichen
wird, in dem von großer Schulraumnot in Geithain die Rede sein wird.
Der Sohn tritt in die Fußstapfen
des Vaters und geht in die Textilbranche. Aber Geithains große Zeiten,
da die Stadt ein Zentrum der sächsischen Leinwandproduktion war
und über die Leipziger Messe Geithainer Leinwand bis nach Spanien
und Italien exportiert wurde, liegen lange zurück. In der Chemnitzer
Gegend werden die Ausbildungsmöglichkeiten sicher besser gewesen
sein und auch die Chancen, später Arbeit zu finden, waren dort wesentlich
größer. Textilindustrie und Textilmaschinenbau, insbesondere auch
die Strumpfwarenproduktion, entwickeln sich in rasanter Weise. Kein
Wunder, daß der Vater den Sohn dorthin zur Ausbildung gibt. Ein
Unterkommen bei Verwandten ist auch gesichert. So besucht Paul Guenther
nach der Konfirmation die Wirkschule in Limbach.
Bild : Paul Guenther (links) in seiner Chemnitzer Zeit
zu Besuch in Geithain, rechts Therese Guenther, um 1883
Die Originale beider Bilder sind
im Besitz von Werner Pechstein. Sie gehören sicher zu den ganz wenigen
Bildern zum Geithainer Alltag, die noch aus der "Frühzeit der Fotografie"
stammen. Vor 1900 war das Fotografieren noch etwas sehr Seltenes.
Dass von den wenigen Bildern einige bis in unsere Tage erhalten
geblieben sind, verleiht den beiden obigen Fotos einen zusätzlichen
Reiz!
Das ehem. Elternhaus von Paul
Guenther heute
Paul Guenther blieb auch nach der
Lehre in der Gegend um Chemnitz. Er wohnte und arbeitete vom November
1880 bis Mai 1884 in Thalheim. Während der Limbacher Ausbildungszeit
wohnte er in Chemnitz bis August 1880. Alle Anschriften konnten
über das Stadtarchiv Chemnitz ermittelt werden. 1884 zog er wieder
nach Chemnitz. Auch von dort liegen inzwischen alle Wohnanschriften
bis zu seiner Auswanderung im Februar 1890 vor. Die Abmeldung nach
New York sowie die Übergabe des Passes erfolgten am 4. Februar 1890.
Ältere Geithainer erinnerten sich
an Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. In den Jahren des Schulbaues
um 1924 beherrschte natürlich das Thema "Paul Guenther" die Stadtgespräche!
"Aus dem wird nichts!" soll man in den ersten Jahren nach seiner
Auswanderung gesagt haben. Sicher war der junge Guenther nicht bequem
und keinesfalls besonders angepaßt. Vielleicht spürte er die materielle
und geistige Enge seiner kleinstädtischen Umgebung. Ob die Auswanderung
1890 ein spontaner oder lange vorbereiteter Schritt war, ob die
Eltern die Pläne des Sohnes kannten, ob sie überrascht wurden, ob
und wie sie ihn beraten haben - diese Fragen sind noch offen. Wir
wissen heute aber, daß etliche Thalheimer bereits vor 1890 nach
Dover ausgewandert sind.
Nach den schwierigen Anfangsjahren
gelang Paul Guenther der erfolgreiche Aufstieg zum größten Strumpfproduzenten
der USA. In Dover/N.J. gilt er auch wegen seiner großzügigen Förderung
des Gesundheits- und Bildungswesens als "großer Amerikaner". Seiner
Heimatstadt Geithain schenkte er 1925 eine Schule, die über viele
Jahre zu den modernsten Schulbauten Sachsens zählte.
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